Der Sonderforschungsbereich (SFB) 806 wird in Kooperation von Quartärforschern der drei Universitäten Köln, Bonn und Aachen durchgeführt. Die Sprecher sind: Prof. Dr. Jürgen Richter, Prof. Dr. Martin Melles und Prof. Dr. Frank Schäbitz.
Sein übergeordnetes Ziel ist es, komplexe chronologische, regional-strukturelle sowie klimatische, umweltbedingte und soziokulturelle Zusammenhänge von bedeutsamen interkontinentalen und transkontinentalen Ereignissen bei der Ausbreitung des Modernen Menschen von Afrika nach West-Eurasien und im Besonderen nach Europa zu erfassen. Dabei legt der SFB seinen Schwerpunkt auf die Zeitspanne zwischen der Ausbreitung des Modernen Menschen aus Afrika und der Sesshaftwerdung in Zentraleuropa. Diese Zeitspanne umfasst etwa die letzten 190.000 Jahre, also die vorletzte Kaltzeit (Marines Isotopenstadium = MIS 6), den letzten Interglazial-Glazial-Zyklus (MIS 5 bis 2) sowie das Holozän (MIS 1).
Der SFB fokussiert hierbei auf die folgenden drei Themen:
- 1. Thema: Der klimatische, umweltgeschichtliche und kulturelle Kontext der primären Expansion unserer Spezies von Afrika nach Europa – 190.000 bis 40.000 Jahre vor heute
- 2. Thema: Sekundäre Expansionen und Rückzüge unserer Spezies, bedingt durch klimatische, umweltgeschichtliche oder kulturelle Änderungen, z.B. die Wiederbesiedlung des Nahen Ostens während des mittleren Weichselglazials oder von ausgedehnten Teilen Europas nach dem Ende des letzten Kältemaximums, die letztendlich die Verbreitung und Durchsetzung der neolithischen Wirtschaftsweise in ganz Europa zur Folge hatte.
- 3. Thema: Bevölkerungsaustausch, Mobilität und Migration in miteinander verknüpften kulturellen und ökologischen Systemen, hervorgerufen durch den wachsenden Einfluss menschlichen Handelns auf die Umwelt, besonders die Ausbreitung, der Rückzug und die interne Mobilität innerhalb sesshafter prähistorischer Gesellschaften.
Der SFB versucht die Umweltfaktoren zu erforschen, die diese Entwicklungen vorantreiben und wie die Interaktionen mit dem kulturellen System verknüpft sind. Er lenkt den Blick auf Strukturen und Methoden, indem zahlreiche Fallstudien (s. Abb.) in unterschiedlichen Regionen für vergleichende Schlussfolgerungen genutzt werden und letztendlich zu Aussagen auf verschiedenen räumlichen Skalenniveaus führen werden. Dabei sind Aktionen und Reaktionen von Populationen wie Auswanderung, Einwanderung und Akkulturation eingeschlossen. Die relevanten Kräfte müssen, basierend auf dem Vergleich systematisch ausgewählter Fallstudien, als multifaktorielles, nicht immer lineares System von Beziehungen betrachtet werden.
Aktuelle Diskussionen zum Umweltdeterminismus und die Rolle menschlicher Aktivitäten profitieren von erweiterten Perspektiven, die auf Daten langer Zeiträume gründen. Gerade zur Bewertung von Innovationen und Expansionen sowie der Belastbarkeit und Nachhaltigkeit von vor-industriellen kulturellen Systemen können Langzeit-Beobachtungen sehr hilfreich sein. Hierzu wird der SFB-806 wichtige und wissenschaftlich bedeutende Informationen liefern.
Mehr Informationen unter: www.sfb806.uni-koeln.de
Frank Schäbitz, Jürgen Richter, Martin Melles, Köln