DEUQUA2010 in Greifswald

Die DEUQUA-Tagung 2010 in Greifswald (Foto: Josephine Paede)
Die DEUQUA-Tagung 2010 in Greifswald (Foto: Josephine Paede)

Die 35. Hauptversammlung der Deutschen Quartärvereinigung fand Anfang September zusammen mit dem 12. Treffen der INQUA PeriBlatic Working Group in Greifswald statt. Mit über 180 Teilnehmern aus 17 Ländern sowie sieben voll ausgebuchten Exkursionen war die Tagung schon zu Beginn einer voller Erfolg. Dank Reinhard Lampe (Greifswald) und seinem engagiertem Team haben die Teilnehmer eine bestens organisierte Tagung mit herausragendem Programm und spannenden Exkursionen erlebt.

Traditionell begann die Tagung mit Vorexkursionen. Reinhard Lampe führte zusammen mit Michael Naumann (Hannover) die Teilnehmer auf die Halbinsel Fischland-Darß-Zingst. Am Hohen Ufer bei Ahrenshoop wurde ein spätglaziales Seebecken mit Till des weichselzeitlichen Mecklenburger Stadiums, Fließerden, Silikatmudden aus der ältesten Dryas bis Allerød, „Heidesand“ aus der jüngeren Dryas mit Podsol-Gley aus dem Atalanikum sowie im Top des Aufschlusses eine Kliffranddüne diskutiert. Thomas Leipe (Warnemünde) vom Institut für Ostseeforschung Warnemünde demonstrierte am nächsten Stopp einige hoch aufgelöste Sedimentkerne aus dem Ostseebecken, welche die Geschichte der Ostsee der letzten 10000 Jahre zeigte. In Alt-Darß und Neu-Darß konnte den Exkursionsteilnehmern eindrucksvoll die jüngste, dynamische Entwicklung des Raums gezeigt werden, die durch starke Erosion und Akkumulation im Küstenbereich gekennzeichnet wird. Abschließend wurden noch Konzepte zum Hochwasser- und Küstenschutz vorgestellt.

Tunneltal im Westteil der Mecklenburgischen Seenplatte (Foto: Jörg Elbracht)
Tunneltal im Westteil der Mecklenburgischen Seenplatte (Foto: Jörg Elbracht)

Der Westteil der Mecklenburgischen Seenplatte war das Ziel einer von Sebastian Lorenz (Greifswald) sehr engagiert geführten Exkursion. Das vielseitige Programm bot einen guten Einblick in die holozäne Gewässernetzentwicklung, die eng mit der Landnutzungsgeschichte verbunden ist. Der erste Exkursionspunkt führte zu einem Kliffabschnitt bei Meschendorf, wo in Folge des Küstenrückgangs Ablagerungen eines fossilen Seebeckens angeschnitten wurden. Das gut untersuchte Profil setzt mit spätglazialem Beckensand ein, der von aquatischen, semiterrestrischen und terrestrischen Bildungen überlagert wird und damit eine detaillierte paläohydrologische Rekonstruktion für diesen Landschaftsabschnitt ermöglicht. Die Auswirkungen der stark wechselhaften hydrologischen Bedingungen auf die Landschaftsentwicklung durch den Wechsel von eiszeitlichen zu warmzeitlichen Bedingungen und die intensive anthropogene Einflussnahme wurden an weiteren Exkursionspunkten im Mildenitz-Durchbruchstal und am Krakower See gezeigt. Der Abschluss der Exkursion führte in die Sandgrube Charlottenthal, in welcher der Übergangsbereich des sub- und inglazialen Schmelzwassersystems zur proglazialen Zone aufgeschlossen ist. Neben gut untersuchten Bereichen gab es auch einige neue Aufschlüsse, die Raum für interessante Diskussionen boten.

Am Abend wurde im Pommerschen Landesmuseum von Jan Harff (Warnemünde) der öffentliche Vortrag zum Thema „Nacheiszeitliche Entwicklung des südlichen Ostseeraumes: in 15.000 Jahren vom Eisstausee zum Brackwassermeer“ gehalten. Nach verschiedenen Grußworten wurde dann die Tagung offiziell mit einem Empfang im Museum eröffnet.

In den beiden folgenden Tagen fand die Vortragsveranstaltung der Tagung statt. In den Räumen der Universität Greifswald wurden über 50 Themen in zwei Parallelsessions sowie über 60 Poster präsentiert. Schwerpunkte der einzelnen Vortragsblöcke waren u.a. die Glazial- und Periglazialmorphologie, Seesedimente als hochauflösende Geoarchive, Geochronologie und Stratigraphie, das weichselzeitliche Eisschild und Paläoumwelt, Küsten- und Schelfgeologie, die spätpleistozäne und holozäne Paläohydrologie sowie Paläoumweltstudien in Eurasien. Im Anschluss an die Mitgliederversammlungen der DEUQUA und der INQUA PeriBaltic Working Group stand das Conference-Dinner auf dem Programm, das den Teilnehmern die Gelegenheit gab sich ausführlich mit alten und neuen Bekannten auszutauschen und Themen weiter zu vertiefen.

Der Rühlower Os im Geopark Mecklenburgische Eiszeitenlandschaft (Foto: Christian Hoselmann)
Der Rühlower Os im Geopark Mecklenburgische Eiszeitenlandschaft (Foto: Christian Hoselmann)

In den beiden folgenden Tagen fanden noch fünf Nachexkursionen statt. Unter der Leitung von Ralf-Otto Niedermayer (Güstrow) wurden die seit mehr als 100 Jahren untersuchten quartären Aufschlüssen und Landformen auf der Halbinsel Jasmund, Nordost-Rügen, besucht. Der erste Stopp auf dem Tempelberg Bobbin, mit 161 m die höchste Erhebung Rügens, diente der generellen Orientierung und Ansprache der Geomorphologie, vor allem einer Serie von als Stauchendmoränen gedeuteten Abfolge von subparallelen Rücken, die zwei Eisvorstoßrichtungen anzeigten, jeweils von NNW und SSE. Am zweiten Stopp war die erste Gelegenheit, die Komplexität der Sedimente genauer zu betrachten gegeben. Am Standort Glowe wurden z.T. von den Erstbearbeitern dieses Kliffaufschlusses mehrere subglaziale Sedimentabfolgen vorgestellt und sedimentologisch in mehreren Kleingruppen auf die Stichhaltigkeit bzgl. des heutigen Kenntnisstandes kritisch und kontrovers diskutiert. Insbesondere die aktuellsten Aufnahmen von Michael Kenzler (Greifswald) über die pleistozänen Sedimente in diesem Gebiet und ihre Altersstellung erweckten reges Interesse. Bei einem anschließenden Stopp in der Ortschaft Lome wurde ein Kliffabschnitt besucht, von dem im Frühjahr 2005 ein 100.000 m3 großer Teil abbrach und ein Haus mitriss. Der folgende Stopp war der klassische Pleistozänstreifen 4, der eine Faltenmulde, die in die berühmten Kreidefelsen eingequetscht ist, repräsentiert. Der letzte Halt am Kliff bei Dwasieden bot ausreichend Gelegenheit, die in einem Vortrag von Sven Lukas (London) bereits vorgestellten aufgeschlossenen Sedimente sowohl kontrovers zu diskutieren, als auch eine erste absolute zeitliche Einschätzung des Sedimentstapels aus subglazialen und proglazialen Sedimenten vorzunehmen. Neueste Datierungen mittels optisch stimulierter Lumineszenz zeigen demnach, dass ein recht mächtiges Sedimentpaket relativ schnelle Oszillationen eines Eisrandes repräsentieren kann, die nicht klimatisch sondern realistischer glazialdynamisch zu erklären sind.

Karsten Obst erläutert das Kliffprofil an der SE-Seite der Greifswalder Oie (Foto: Christian Hoselmann)
Karsten Obst erläutert das Kliffprofil an der SE-Seite der Greifswalder Oie (Foto: Christian Hoselmann)

Unter der Führung von Andreas Buddenbohm (Neubrandenburg) fand eine Exkursion in das Gebiet des Geoparks Mecklenburgische Eiszeitlandschaft statt. Erster Stop war der morphologisch auffällige Rühlower Os, dessen Genese ausführlich diskutiert wurde. Die Vorstellungen zur Genese der Tollense-Rinne als subglaziale Rinne, die während des Elster-Glazials angelegt wurde, stellte Klaus Granitzki (Neubrandenburg) vor. Ein interessantes Eem-Profil wurde am Aufschluss Hinterste Mühle bei Neubrandenburg vorgestellt. Ein weiteres Ziel der Exkursion war die pommersche Hauptendmoräne in der Feldberger Geotop-Landschaft. In diesem Gebiet gibt es einige bis zu 30 m tiefe Hohlformen in deren Sedimenten die spätglaziale und holozäne Vegetationsentwicklung untersucht worden ist. Zum Abschluss der Exkursion wurde der Findlingsgarten Schwichtenberg besucht. Beim Besuch des Geoparks Mecklenburgische Eiszeitlandschaft darf nicht unerwähnt bleiben, dass trotz durchweg positiver nationaler sowie internationaler Resonanz, der Geowissenschaftliche Verein Neubrandenburg im Sommer 2009 das Geopark-Büro, aufgrund fehlender finanzieller Zuschüsse, schließen musste. Das UNESCO-Label des Geoparks musste somit aufgegeben werden. Trotz auch hoher touristischer Attraktivität wird das in weiten Teilen nicht vorhandene Interesse der Landes- und Regionalpolitik bemängelt.

Die Exkursion zur Insel Usedom wurde von Gösta Hoffmann (Muscat, Oman) geleitet und bot ein überaus abwechslungsreiches wissenschaftliches Programm, das mit Erläuterungen zum Küstenschutz abgerundet wurde. Am ersten Exkursionspunkt, am Steilufer der Halbinsel Gnitz, wurden die pleistozänen Sedimentstrukturen begutachtet, die abschnittsweise durch Deformationen charakterisiert sind. Mit einer Vielzahl von Maßnahmen versucht der Mensch sich vor Sturmfluten zu schützen. Am Strand von Koserow wurden die verschiedenen Küstenschutzanlagen vorgestellt und das Denkmal des ehemaligen Dorfes Damerow besucht, das durch die schwere Sturmflut 1874 zerstört wurde. Von der Anhöhe des Streckelsberges sind die Wellenbrecher sichtbar, die in 200 m Entfernung von der Küste die Seegangsenergie am Klifffuß reduzieren. Gegen Mittag erreichte die Exkursion den Usedomer Gesteinsgarten am Forstamt Neu Pudagla. Die Wanderung durch die Herkunftsgebiete von über 140 Großgeschieben gab einen umfassenden Einblick in das Spektrum der Geologie Skandinaviens. Mit Blick auf das Oder-Haff wurden die holozäne Entwicklung der Swine-Niederung und die Umweltprobleme im Bereich des Haffs erläutert.

Der inhaltliche Fokus der Exkursion, die von Reinhard Lampe unter Mitwirkung von Wolfgang Janke, Thomas Terberger, Andreas Kotula und Kay Krienke geleitet wurde, war auf die Küsten- und Meeresspiegelentwicklung sowie die mesolithische Besiedelung im Exkursionsgebiet ausgerichtet. An fünf Exkursionspunkten im Westteil der Insel Rügen, in Stralsund sowie am Greifswalder Bodden wurden anhand von eindrucksvollen Aufschlüssen, Pollenprofilen, Datierungen, geophysikalischen Messergebnissen und archäologischen Grabungsbefunden neueste Forschungsarbeiten zur spätglazialen und holozänen Landschaftsentwicklung vorgestellt. Intensiv beleuchtet und diskutiert wurden in diesem Zusammenhang auch die komplexen Wechselwirkungen zwischen Reliefbedingungen, Sedimentationsvorgängen, glazialisostatischen Ausgleichsbewegungen und dem rezenten Anstieg des Meeresspiegels in der südlichen Ostsee. Durch die Verknüpfung von quartärwissenschaftlichen Fragestellungen mit aktuellen Prozessen ist eine spannende und informative Exkursion gelungen, die darüber hinaus auch bestens organisiert war.

Ein absoluter Höhepunkt der DEUQUA2010 war sicherlich die Exkursion zur Greifswalder Oie. Die 0,6 km2 große Insel liegt im Ausgangsbereich des Greifswalder Boddens zur Pommerschen Bucht und wird in 1,5 Stunden per Schiff von Freest angefahren. Die gesamte Insel ist Naturschutzgebiet, so dass an der SE-Seite der Insel die rezenten Küstenabbrüche sehr gute Kliffprofile ergeben. Die Exkursionsleiter Karsten Obst (Güstrow) und Jörg Ansorge (Greifswald) gaben den Teilnehmern einen ausgezeichneten Einblick in den geologischen Aufbau der Greifswalder Oie und in die derzeit laufenden wissenschaftlichen Untersuchungen. In die stark deformierten pleistozänen Geschiebemergel sind präpleistozäne Schollen eingelagert. Von besonderer Bedeutung sind hierbei die untereozänen, karbonatisch zementierten Aschetuffe, die als Zementsteine bezeichnet werden. Die Aschen wurden in Zusammenhang mit Riftprozessen vor rund 54 Mio. Jahren im Nordatlantik gebildet. Weiterhin sind auch kreidezeitliche Sedimente in Schollen eingearbeitet. Da die primären Sedimentationsgefüge in den Gesteinen gut zu erkennen sind, werden für die präpleistozänen Gesteine der Greifswalder Oie nur kurze Transportwege angenommen. Große Bedeutung erlangt auch der Fund eines Schulterblatt-Knochens von einem Riesenhirsch, der oberhalb eines saalezeitlichen Geschiebemergels geborgen wurde. Zum Abschluss der Exkursion wurde der 1853-1855 erbaute Leuchtturm sowie die Station Jordsand besucht, in deren Ausstellung die Teilnehmer sich einen guten Überblick über die Fauna und Flora der Insel verschaffen konnten.

Sämtliche Exkursionen sind ausführlich im hervorragend gestalteten Exkursionsführer „Eislandschaften in Mecklenburg-Vorpommern“ erläutert. Der Band kann kostenfrei als PDF oder für 34,- € gedruckt unter www.geozon.info/publikationen bezogen werden.

Bodo Damm, Vechta/Göttingen, Jörg Elbracht, Hannover, Christian Hoselmann, Wiesbaden, Sven Lukas, London & Michael Weidenfeller, Mainz