Neue Lumineszenz-Datierungstechniken zur Entschlüsselung von Umwelt- und Klimaveränderungen in dynamischen Landschaftssystemen

Im Rahmen des für die Jahre 2008-10 bewilligten Leibniz Pakt für Forschung und Innovation werden am Leibniz Institute for Applied Geosciences (GGA-Institut) in Hannover neue Lumineszenz-Datierungstechniken zur Bestimmung des Ablagerungsalters von Küsten- und Flusssedimenten sowie Lössen entwickelt. Die Lumineszenz-Arbeitsgruppe am GGA-Institut besteht aus drei Wissenschaftlern und neun Doktoranden. Mit Frau Dr. Sumiko Tsukamoto konnte eine in diesem Fachgebiet international renommierte Wissenschaftlerin gewonnen werden.
Im Rahmen des Projektes werden methodische und angewandte Fragestellungen mit dem Ziel bearbeitet, methodische Verbesserungen unmittelbar in der Praxis zu testen und die Ergebnisse für weitere technische Entwicklungen zu nutzen. Der methodische Anteil beinhaltet in Zusammenarbeit mit Dr. Mayank Jain (Risö Forschungszentrum, Dänemark), Dr. Matthias Krbetschek (Sächsische Akademie der Wissenschaften, Quartäre Geochronologie, Freiberg) und Dr. Andrew Murray (Universität Aarhus, Dänemark) die Weiterentwicklung von Datierungstechniken aus dem gesamten Spektrum der Lumineszenz-Technologie sowie den Bau eines tragbaren Lumineszenz-Gerätes für den Feldeinsatz. Bei den thematischen Arbeiten steht die hoch differenzierte zeitliche Aufschlüsselung von Sedimentabfolgen ausgewählter terrestrischer und flachmariner Sedimentarchive im Mittelpunkt – und damit die Lösung von Fragestellungen, die durch die parallel durchgeführten methodischen Entwicklungen in dieser Form erstmals angegangen werden können.


Rhein-Flussgeschichte
Genaue Kenntnisse über das Ausmaß von landschaftsverändernden wetter- oder klimainduzierten Ereignissen sind vor allem in der Nähe von Flüssen und im Küstenraum von hohem Allgemeininteresse. Flusslandschaften mit ihren Überschwemmungsebenen und Niederterrassen sind sensitive Landschaftssysteme. Extreme Wetterereignisse wie die „Jahrtausendflut“ des Jahres 1342 sind neben der katastrophalen Wirkung auf die menschliche Gesellschaft landschaftsgestaltend. Dokumentiert wird dies mit bis zu 15 m tiefen Erosionsrinnen und 6 bis 8 m mächtige Umlagerungen von Flussschottern des Rheins in Süddeutschland. Das Ausmaß der Sedimentationsdynamik in großen und kleinen Flusssystemen wird exemplarisch in der Niederrheinischen Bucht in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. J. Klostermann (Geologischer Dienst Nordrhein-Westfalen, Krefeld) mit Hilfe der Lumineszenz-Datierungsverfahren untersucht. Ziel ist die zeitliche Erfassung von Perioden intensiver fluviatiler Aktivität, vorrangig für das Zeitfenster der letzten 100.000 Jahre.


Küstendynamik an Nord- und Ostsee: 
Während der letzten 10.000 Jahre führten Klimawandel und Meeresspiegelschwankungen, aber auch extreme Wetterereignisse zu erheblichen Verschiebungen der Küstenlinie und hatten damit unmittelbare Auswirkung auf die anthropogene Nutzung des Küstenraums. An Nord- und Ostsee wurden und werden große Mengen Sedimente mobilisiert, was zu ausgedehnten Sedimentakkumulationen wie die Barriere-Inseln an der Nord- und die Nehrungen an der Ostseeküste führt. Gleichwohl sind nur wenige Informationen über die tatsächliche Entwicklung des Meeresspiegels und die Veränderungen der Küstenlinie im Bereich der südlichen Nordsee sowie der Küste Mecklenburg-Vorpommerns und Polens vorhanden. Durch Einsatz der verbesserten Techniken werden wir in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. J. Harff (Leibniz Institut für Ostseeforschung, Warnemünde) sowie Prof. C. Betzler (Universität Hamburg) und Prof. Dr. R. Lampe (Universität Greifswald) die zeitliche Abfolge von Sedimentmobilisierungen an Land und im flachmarinen Küstenbereich der Nord- und Ostsee eingehend untersucht und die Datenbasis für die Modellierung von Klimaschwankungen wesentlich erweitert.


Maarsedimente und Lösse der West- und Osteifel: 
Eiszeitlich abgelagerte Lösse sind die weltweit am weitesten verbreiteten und hoch auflösenden terrestrischen Klimaarchive. Während marine Sedimente und Eisbohrkerne aus Grönland und der Antarktis überwiegend globale Klimasignale aufzeichnen, geben Lössablagerungen und Seesedimente darüber hinaus auch Hinweise auf regionale und lokale Klima- und Umweltbedingungen. Im Rahmen der beantragten Förderung wollen wir in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Frank Sirocko (Universität Mainz) die kontinuierlichen Sedimentabfolgen aus Maaren der Westeifel mit Lössablagerungen der Osteifel und des Mittelrheingebiets korrelieren. Erstere bilden seit ihrer vulkanischen Entstehung Sedimentfallen. Die Aufeinanderfolge extremer Staubsturmereignisse während des letzten Glazials in Mitteleuropa ist hier hervorragend dokumentiert. Ziel der Untersuchungen ist eine gegenüber früheren Erhebungen wesentlich genauere Erfassung der zeitlichen Verteilung solcher Staubsturmereignisse und der damit verbundenen Phasen verstärkter Aridität. Die Ergebnisse haben Einfluss auf die Modellierung und Kopplung von Paläoklima mit atmosphärischen Zirkulationsmustern sowie des Staubgehaltes der geologischen Vergangenheit in der Atmosphäre.


Mittelpleistozäne Lösse 
Quarze haben bei der Anwendung von “Thermisch-transferierter optisch stimulierter Lumineszenz (TT-OSL)“ eine deutlich höhere Sättigungsgrenze. Damit ist es theoretisch möglich, Altersbestimmungen bis zu 1 Million Jahren vorzunehmen. Im Rahmen der methodischen Arbeiten zur gepulsten OSL sowie Thermisch-transferierten OSL werden die Untersuchungen in Zusammenarbeit mit Ass. Prof. Dr. Erzsébet Horváth (Eötvös loránd Universität Budapest), Prof. Dr. Birgit Terhorst (Universität Wien) und Prof. Dr. Slobodan Markovic (Universität Novi Sad, Serbien) auf mittelpleistozäne Lösse ausgedehnt, um verlässlichere Altersangaben für den Zeitbereich von mehreren 100.000 Jahren zu erhalten. Die für die Menschheitsgeschichte bedeutenden steinzeitlichen Siedlungsplätze und -abläufe aus Löss-/Paläobodenabfolgen werden dadurch mit bisher nicht erreichter Auflösung datierbar und lassen daher auch neue Erkenntnisse aus einem Überlappungsbereich von Natur- und Geisteswissenschaften erwarten.


Weitere Information: Prof. Dr. Manfred Frechen, GGA-Institut, Stilleweg 2, 30655 Hannover
Manfred.Frechen@gga-hannover.de