Annäherung in Quartär-Kontroverse

In dem seit einiger Zeit schwelenden Konflikt um den stratigraphischen Status des Quartärs zeichnet sich eine Annäherung der Standpunkte ab. Die Auseinandersetzung zwischen der Internationalen Commission on Stratigraphy (ICS), einem Organ der International Union of Geological Sciences (IUGS), und der International Union for Quaternary Research (INQUA) gründet sich in dem Bestreben der ICS, das Quartär als Begriff aus der offiziellen stratigraphischen Tabelle zu entfernen. Das gleiche Schicksal war vor einigen Jahren bereits dem Tertiär widerfahren, welches seitdem kein Bestandteil der von der IUGS ratifizierten stratigraphischen Tabelle ist (vgl. Abbildung). Der Hintergrund dieses Anliegens ist der Versuch, die letzten Überbleibsel des stratigraphischen Systems aus dem 19. Jahrhundert abzuschaffen, nach dem die Erdgeschichte in vier Phasen unterteilt wurde (Primär, Sekundär, Tertiär, Quartär). Nach dem Plan der ICS sollte das Quartär als Ära abgeschafft werden und das Neogen bis in die Jetztzeit reichen. Das Neogen würde dann in die Epochen Miozän, Pliozän, Pleistozän und Holozän unterteilt (Abbildung). Diese Gliederung wurde im Jahre 2004 in dem Buch " Geological Time Scale" (Cambrigde University Press), welches den Anschein einer offiziellen Publikation der ICS und somit der IUGS erweckt, veröffentlicht. Viele Kollegen gehen deshalb davon aus, dass das Quartär nunmehr offiziell als geologische Zeiteinheit abgeschafft ist.

Gegen dieses Vorgehen der ICS wurde eine Reihe von Protesten eingelegt. Die INQUA vertritt den Standpunkt, dass ein etablierter Begriff wie Quartär nicht einfach auf Grund des Beschlusses einer Kommission aus dem offiziellen Sprachgebrauch gestrichen werden darf. Dieses ist zum einen durch stratigraphische Argumente begründet, da das Zeitalter des Quartärs und die damit einhergehenden Vergletscherungen großräumige Veränderungen der Erdoberfläche mit sich brachten und in vielen Regionen sich deshalb ein deutlicher Wechsel im geologischen Ablagerungsmilieu zeigt. Zudem fällt das Quartär mit dem Auftreten einer Gattung zusammen, welcher weit über geologische Betrachtungen hinaus eine besondere Bedeutung zukommt " der Mensch". Weiterhin finden verschiedene wissenschaftliche Richtungen eine gemeinsame Basis in dem Begriff Quartär, indem sie sich mit dem gleichen Zeitabschnitt beschäftigen und die geologische und geomorphologische, aber auch die biologische (Fauna und Flora) und nicht zuletzt die menschliche Evolution betrachten. Dabei steht vor allem die Frage des Einflusses des häufigen Klimawandels, welcher das Quartär als geologische Zeiteinheit prägt, im Vordergrund. Gerade letzteres ist im Zusammenhang mit der gegenwärtigen Diskussion um den globalen Klimawandel höchst aktuell. Darüber hinaus identifizieren sich über den Begriff Quartär weltweit eine ganze Reihe von multidisziplinären wissenschaftlichen Gesellschaften (z.B. Quaternary Research Association) und renommierten internationalen Zeitschriften (z.B. Quaternary Science Reviews). Ein Herabsetzten des Status oder gar Entfernen des Begriffes aus dem stratigraphischen System erscheint somit wenig hilfreich im Bestreben, die interdisziplinäre Zusammenarbeit weiter zu stärken und eine größere Öffentlichkeit zu erreichen. Zudem ist davon auszugehen, dass der Begriff auch bei einer offiziellen Abschaffung weiterhin im allgemeinen Sprachgebrauch bleiben würde, dann aber nicht mehr eindeutig definiert wäre. Dies kann eigentlich nicht im Sinne einer Kommission sein, die für eine Normierung des stratigraphischen Sprachgebrauchs zuständig ist.

Als Reaktion auf die Proteste von Seiten der INQUA wurde nach verschiedenen Kompromissen gesucht. Eingehend wurde der Vorschlag diskutiert, dem Quartär den Status einer Sub-Ära zuzugestehen. Die einzigen bisherigen Sub-Ären sind das Pennsylvanian und das Mississippian, die das Karbon in Nordamerika weiter unterteilen, aber außerhalb von Nordamerika kaum in Gebrauch sind. Der vorgeschlagene Kompromiss ließ deshalb befürchten, dass es sich bei dieser Degradierung mittelfristig um eine Abschaffung des Begriffs Quartär handelt. In einer Umfrage der INQUA unter ihren Mitgliedsorganisationen sprach sich dann auch eine überwiegende Mehrheit gegen diesen Kompromiss aus. Dies führte zu in einer Art Patt-Situation, da die ICS keine weitere Gesprächsbereitschaft zeigte.

Eine überraschende Wende in der Kontroverse leitete ein kürzlich verbreitetes Schreiben des Präsidenten der IUGS, Professor Zhang Hongren, ein. Dieser rügt scharf die Vorgehensweise der ICS im Zusammenhang mit der Quartärfrage und stellt klar, dass die 2004 erschienene Geologische Zeitskala nicht vom Vorstand der IUGS ratifiziert wurde. Sie ist somit weder bindend noch ist sie im Sinne des Vorstandes der IUGS. Die Nutzung der Embleme der IUGS und ICS im Zusammenhang mit dieser Publikation sind als nicht zulässig anzusehen. Weiterhin stellte Professor Hongren klar, dass die auf der Internetseite der ICS darstellte geologische Zeitskala nur der persönlichen Vorstellung einiger Mitglieder der ICS entspricht (Anmerkung: die Darstellung auf der Internetseite der ICS www.stratigraphy.org wurde inzwischen geändert). Der Vorstand der IUGS konstatierte weiterhin, dass die ICS gegen die Interessen und Vorgaben der IUGS gehandelt hat und mahnt die mangelnde Kommunikation ab. Die Vorgehensweise der ICS hat sowohl dem Ansehen der ICS als auch der IUGS schwer geschadet. Als Konsequenz wurde das Budget der ICS für das Jahr 2007 nur unter Vorbehalt genehmigt und wird derzeit in Reserve gehalten. Bis zu einer endgültigen Klärung der Frage bleibt die Geologische Zeitskala des Jahres 2000 gültig (vgl. Abbildung). Der Vorstand der IUGS forderte die ICS nachdrücklich auf, sich in der Quartärfrage dem Standpunkt der INQUA anzunähern und diese Frage bis zum International Geological Congress im Sommer 2008 zu einem Konsens zu bringen.

Das Einlenken des Vorstandes der IUGS ist von Seiten der INQUA sehr positiv aufgenommen worden. Erste neuere Gespräche zwischen INQUA und ICS deuten darauf hin, dass die Position der Quartärforschung nunmehr berücksichtigt werden wird. Nach diesem Vorschlag wird der Begriff Quartär beibehalten und an der Basis des Gelasian definiert (2,6 Ma). Es bleibt zu hoffen, dass mit der Umsetzung dieses Vorschlages eine langwierige Diskussion ein Ende findet. Frühere Beiträge über die Quartär-Kontroverse finden sich in Quaternary Perspectives, dem Nachrichtenblatt der INQUA (freier Zugriff via www.deuqua.de).

Frank Preusser, Bern

Vergleich der derzeit gültigen stratigraphischen Gliederung des jüngeren Känozoikums mit dem ursprünglichen und mittlerweile obsoleten Vorschlag der ICS (publiziert in Gradstein et al. 2004: A Geological Time Scale; Cambridge University Press).
Vergleich der derzeit gültigen stratigraphischen Gliederung des jüngeren Känozoikums mit dem ursprünglichen und mittlerweile obsoleten Vorschlag der ICS (publiziert in Gradstein et al. 2004: A Geological Time Scale; Cambridge University Press).